Martin Fischer (14)

Gefesselt, geknebelt und betrunken

Es war sechs Uhr morgens in Gamble City. So wie der Hahn an diesem Tag klang, musste er gerade die schlimmste Phase eines Stimmbruchs durchmachen und noch dazu Halsweh haben, denn das Geräusch, das er von sich gab, war nicht von dieser Welt.

Doch ich musste trotzdem aufstehen. Langsam zog ich meine Cowboystiefel an und zog mir meine Lederjacke über, wobei ich genau darauf achtete, dass der Sheriffstern wie immer glänzte. Zum Frühstück goss ich mir ein Glas feinstes Feuerwasser ins Gemüt, damit ich einmal wach wurde.

Die gewünschte Wirkung trat nicht ein, mein Körper hatte sich wohl schon zu sehr an das Zeug gewöhnt. Vorschrift Nrummer eins für den heutigen Tag: Feuerwasser reduzieren.

Danach nahm ich meine gute, alte Winchester in die Hand (Dieses Gewehr der edelsten Sorte hat mich noch nie im Stich gelassen.) und machte mich, wie jeden Tag, auf den Weg zum Gefängnis.

Der Staub wehte durch die Luft als ich die Straße betrat. Noch befand sich keiner hier, doch in wenigen Stunden würden wieder die kaltblütigsten Killer, die verrücktesten Falschspieler und die rabiatesten Raufbolde versammelt sein. Und meine Aufgabe war es, ihnen das Fürchten zu lehren.

Als ich das Gefängnis betrat, roch ich etwas… Es war mir vertraut, und ich liebte den Geruch, doch was hatte er in diesem Gefängnis zu suchen? Als ich auf den Boden sah, bestätigte sich meine Vermutung: Sprengpulver vom Feinsten.

Ich ging einen Schritt weiter und sah es schon… ein riesiges Loch in der Wand. Die Gebrüder Mufty, zwei Ganoven der übelsten Sorte, waren wieder einmal ausgebrochen. Schön langsam reichte es mir mit ihnen. Dass sie letzte Woche fünfmal ausbrachen, sah ich noch ein, doch heute war Samstag und somit das sechste Mal, dass sie in dieser Woche ausbrachen.

Plötzlich musste ich ziemlich laut husten. Unbewusst hatte ich meinen gesamten Wochenvorrat an Zigaretten ausgeraucht. Also Vorschrift Nummer zwei für heute: Das Rauchen reduzieren.

Doch nun hieß es schnell zu handeln. Vermutlich waren die Gebrüder Mufty schon dabei, die nächste Postkutsche zu überfallen. Sie hatten dabei eine eigene Technik entwickelt: Sie warteten an einer günstigen Stelle, zum Beispiel hinter einem Baum oder einem Stein, sprangen dann schnell vor die Postkutsche und raubten sie dann schnell aus. Was ihre eigene Technik dabei war? Bevor sie die Postkutsche weiterfahren ließen, tranken sie immer einen Siegesschluck, wobei sie die Fahrgäste dazu zwangen, mitzutrinken. Einmal endete dieser Siegesschluck damit, dass die Gebrüder Mufty so betrunken waren, dass die Fahrgäste sie gefesselt und geknebelt zum nächsten Sheriff brachten. Tja, sie waren eben nicht gerade die hellste Bande.

Jedenfalls schwang ich mich schnell auf mein Pferd, Slowly Horse, (es war schwarz, schön und der langsamste verdammte Gaul im wilden Westen) und ritt zur nächsten Poststelle. Reiten war gut gesagt… Slowly Horse hatte wieder einmal mein Feuerwasser in seinen Trog geschüttet und wankte nur durch die Gegend. Wie es das zustande brachte, war mir ein Rätsel.

Keuchend und schnaufend fiel es einfach vor der Poststation um… es war nicht das erste Mal. Doch es war mir egal, ich ging hinein zu Jonny the Postman (er war als Postmann wirklich eine Legende, er war der schnellste Briefabschicker des Westens) und fragte nach der nächsten Postkutsche.

Er sagte mir, sie stünde draußen schon bereit, während er mir seinen Händen durch die Gegend fuchtelte und in wenigen Sekunden einen fünf Meter hohen Stapel Briefe anhäufte.

Ich stieg in die Postkutsche, legte meine Winchester auf den Beifahrersitz und fuhr los. Diese Kutsche würden sich die Gebrüder Mufty nicht entgehen lassen. Sie war randvoll mit Feuerwasser und Tabak (sie war der Wochenvorrat für die Greenhorns im Osten).

Als ich den Grand Stone passierte, ein großer Stein zirka zwischen Gamble City und Cow Gulch, wusste ich, dass es bald passieren würde. Und es trat ein: Big Mufty und sein kleiner Bruder, der, wie sollte es anders sein, Little Mufty hieß, sprangen hervor und brachten mich zum Stehen. Sie waren stinkiger und hässlicher denn je.

Eigentlich hatte ich vor, mein Tuch, das ich um mein Gesicht gewickelt hatte, damit sie mich nicht erkennen, abzustreifen, sobald sie betrunken waren, doch angesichts der Tatsache, dass Big Mufty bis zum Himmel stank und beide zusammen vermutlich bis zur Hölle, überlegte ich es mir noch einmal.

Nachdem ich nur Feuerwasser geladen hatte und die Muftys also nichts zu stehlen hatten, fingen sie gleich an zu trinken. Das beschleunigte die Sache natürlich. Sie drückten mir eine Flasche in die Hand und ihre Pistolen an meinen Kopf.

»Trink!« sagte Little Mufty, und sein Mundgeruch versetzte mich in Trance. Sie tranken das Zeug runter wie Bier und waren bald reif für meinen Plan.

Sobald sie betrunken genug waren, band ich sie hinten an der Kutsche fest und ließ sie den Weg zum Gefängnis laufen.

Ich war stolz auf mich. Die Gebrüder Mufty waren wieder eingebuchtet (nach einem kurzem Dauerlauf), noch dazu auf gesunde Weise. Dieses Trainingsprogramm würde ich ab jetzt immer mit ihnen machen, wenn sie ausbrachen. Das hieß also fünf bis sechs Mal die Woche.

Was meine Gesundheit betraf: Ich schloss diesen stink normalen Tag im Saloon ab und vergaß meine heiligen Vorschriften.