Fabian Ecker (13)

Die Hardware der sozialen Gerechtigkeit

November 1998. Soweto. Es ist Hochsommer. An diesem Tage war wohl alles etwas sonderbar, doch das stellte alles in den Schatten: Etwas Unerhörtes, noch nie Dagewesenes, ja, etwas Wundervolles! Mit diesem Projekt wurde dem schleichenden Rassismus ein’s ausgewischt. Zwanzig glückliche, österreichische Schüler und Schülerinnen verschiedener Altersgruppen und weitere zwanzig südafrikanische, wissensdurstige Mädchen einer reinen Mädchenschule tauschten ihre Kultur, Sprache und Lebenseinstellung aus. Zuerst zwei Wochen in Österreich, dann zwei in Südafrika.

Die heiße Mittagssonne brannte auf unseren gemieteten Bus herunter. Langsam glitten wir an den Baracken Sowetos vorbei, dem Viertel der Ärmsten der Armen. Unwirklich, fremd, wie eine Wüste, in der sich Wellblechdünen erheben.

Je länger sich mir dieses Bild bietet, desto mehr steigt in mir ein seltsames Gefühl hoch: Hier scheint das Elend herzukommen, ein Knotenpunkt, an dem sich alles konzentriert. Schaudernd betrachte ich das Szenario. Das Rot einer Ampel unterbricht die Fahrt. Eine Hüttentür öffnet sich, eine magere Frau tritt ins Freie. Eine Schwarze. Meine Augen gleiten an ihr vorbei, direkt in den Raum hinein. Er scheint der einzige im Haus zu sein. Ein paar Matratzen, ein Leintuch als Trennwand, ein Gaskocher, ein kleiner Campingtisch, Sesseln. Wahrscheinlich hat sie auch Kinder, denn es hängen einige Zeichnungen an den Wänden. Sie sind schön, zeigen eine heile Welt: Blumenwiesen, die diese Kinder vielleicht nie zu sehen bekommen werden. Ein zwiespältiges Gefühl huscht bei solchen Gedanken durch meinen Körper. Es erfasst jede Faser. Der Bus ruckt an, und das Haus entschwindet meinem Blick.

Wir fuhren nun schneller als zuvor. Die Bilder, die sich mir boten, weckten fremde Gedanken in mir. Meine Auffassung von unserer Existenz schien sich mit einem Schlag zu ändern, wie eine Kugel, die plötzlich von einer weiteren Seite beleuchtet wird. Fragen drängten sich in meinen Kopf, schrien noch Antworten. Was ist, wenn ich dort draussen stünde? Wäre ich anders? Was bedeutet »anders« eigentlich? Uns trennten momentan nur wenige Millimeter Glas, doch der soziale Klassenunterschied schien unüberwindbar. Eine weitere Ampel reisst mich aus meinen Gedanken. Draussen ist es lebendiger geworden. Eine ganze Großfamilie steht um eine rostige Blechtonne herum, die auf geschickte Weise in einen Griller verwandelt worden ist. Teils freundlich grinsend, teils verblüfft, Schwarz und Weiss in einem Bus zu sehen, winken sie uns zu. Auf dem Grill brutzeln Gedärme. Mit eindeutigen Gesten laden sie uns zum Essen ein. Sie müssen unsere innere Ablehnung gerochen haben. Wahre Gastfreundschaft? Wahre Borniertheit? Nur wenige hundert Meter weiter halten wir erneut an einem kleinen Platz inmitten des Ghettos. Einige Jungen in zerschlissenen Schuluniformen spielen Fußball. Sie müssen wohl gerade von der Schule gekommen sein. Vielleicht sind sie auch gar nicht dort gewesen. Bildung scheint hier etwas Fragwürdiges zu sein. Warum den Tag mit Lernen »vertun«, wenn man den nächsten vielleicht gar nicht erleben wird?

Es war schon sonderbar, diese lachenden Gesichter inmitten dieses todbringenden Meeres der Armut zu sehen. Sahen die das etwa anders? Diese und noch viele andere Fragen blieben bis zum heutigen Tage unbeantwortet.

Wir stiegen aus. Nur ein paar Meter weiter waren vier Container aufgestellt. In ihnen wurden Souvenirs von Soweto zum Kauf angeboten. Auch handgemachte Stücke waren dabei. Damit verdienten sich die Menschen hier wohl ein kleines Zubrot. Alle Kaufwilligen deckten sich ein, dann stiegen wir wieder in den Bus. Inzwischen war es Abend geworden. Die Häuser nahmen langsam ihre für unsere Augen übliche Gestalt an, die Zäune wurden niedriger. Für viele war dieser Lokalaugenschein der anderen Welt wahrscheinlich nur eine Etappe, ein Punkt, den es abzuhaken galt, für mich war er etwas Prägendes. Er hat vielleicht auch mein Leben einige Zentimeter verrückt. Auf jeden Fall werde ich Soweto nie vergessen.