Laura Bragagna (11)

Vom Leben einer Tomate

Wäre es schön, eine Antimatsch-Tomate zu sein! Dann müsste ich kein Ketchup werden, wie alle anderen in dieser Kiste hier. Ich werde bald unter eine Walze gebracht. Ich denke mir, ich habe so ungefähr drei Minuten, um der Welt Good-bye zu sagen und an mein Leben zu denken. Es war spannend und schön. Ich kann es euch erzählen, ich habe sowieso nichts mehr vor.

Ich war einmal eine Blüte, eine gelbe, zierliche Blüte. Ich hätte vertrocknen können, ich hätte sterben können, aber eine Biene hatte sich auf mich gesetzt und Nektar gesaugt. »Ich kann eine Tomate werden!« jubelte ich. Ich war stolz.

Als ich noch sehr klein war, hatte ein Ziegenbock an mir geknabbert, doch ich schmeckte noch nicht. Als ich schon schön rot war, kam so ein Typ, der die Qualität von Tomaten testen wollte. Er war anscheinend ein Kenner. Er teilte uns alle in die dritte Klasse Tomaten ein, und so war nur noch eines möglich, wir mussten Ketchup werden. Für Tomaten ist das eine Schande, es war schrecklich.

Wir wurden mit einem Laster transportiert, in sehr vielen, aufeinander gestapelten Kisten. Ich war in einer der untersten. Ober mir lag eine sehr kleine Tomate. Sie weinte, doch die Menschen konnten es weder hören, noch sehen. Es war dunkel. Ich hatte Angst. Ich wollte alles um mich herum vergessen, doch es ging nicht.

Wir wurden auf ein Fließband gestellt, Kiste für Kiste, und vorne, da war eine Walze. Roboter drehten die Kisten um, kurz bevor sie zu der Walze kamen, sodass die Tomaten herausfielen, und dann »matsch!«. Und jetzt, jetzt bin ich gleich dran.

Eine Bitte habe ich noch. Wenn ihr im Supermarkt eine Ketchup-Flasche hört, die um Hilfe ruft, dann kauft sie bitte und leert den Inhalt auf eine grüne Wiese aus, damit er es gut hat und glaubt, er sei wieder eine Tomate.