Laura Bragagna (11)

Der Eitle

Der Sommer war vorbei. Der Herbst hatte begonnen. Er hatte sich durch einen starken Regen gezeigt. Die Leute blieben jetzt lieber zu Hause, vor dem knisternden Kamin, und ließen es sich gutgehen. Niemand dachte daran, in den Park zu gehen. In den Park, in dem unsere Geschichte stattfindet.

»Ach«, meckerte die Blaueiche »Meine schönen Blätter. Ich muss sie jetzt alle abwerfen.«

»Mecker nicht«, tröstete die Kastanie, »Deine Blätter werden sich jetzt schön gelb, orange verfärben. Ist das nicht schön?«

»Du hast recht«, sagte die Blaueiche.

»Finde ich nicht«, mischte sich die Birke ein. »Seht euch den Baum vom Hügel an. Er muss immer zeigen wie toll er ist. Seine Schuld ist es, dass mir keine Jahreszeit mehr gefällt. Er verdirbt einem die Freude, die Freude, in allen Farben zu strahlen. Es gefällt mir nicht mehr, das Leben. Ich will sterben.« Ihre Blätter fielen herab. Sie war tot.

Es war die Schuld des eitlen Baumes. Sie hassten ihn. Noch hatte er seine kräftig grünen Blätter. Sie waren wirklich einzigartig. Er war stolz, dass er so war, wie er war. Und das wäre immer so geblieben, wenn sich nicht eines Tages ein kleiner, grüner Grasfrosch in den Park verirrt hätte. Er hüpfte durch das Gras, immer nach Deckung suchend. Doch da sah er den eitlen Baum. »Oh«, sagte der Frosch »du bist aber ein schöner Baum.«

»Danke«, sagte der Baum.

»Mir gefallen deine grünen Blätter. Ich denke, du bist ein immergrüner Laubbaum. Ich weiß zwar nicht, dass es so etwas gibt, aber es kann doch sein. Hab ich recht? So einer, der immer dieses schöne Grün hat?«

Der Baum sah hinunter zu dem Frosch. Was sollte er sagen? Sollte er dem Frosch sagen, wie er wirklich war? Doch vielleicht würde ihn der Frosch dann nicht mehr schön finden. Er mochte ja nur grün. »Ja. Ja, ich bin ein immergrüner Baum.«

»Oh, schön!« sagte der Frosch und hoppelte weiter.

Ein paar Wochen später begannen die Blätter der Bäume, ihre Farben zu ändern. Jeder war stolz über seine schönen Farbtöne.

»Sicher hat der eitle Baum wieder die tollsten Farben«, sagte ein Baum, »er kommt sich wohl sehr toll vor, der Eitle.«

»Nein, so ist das nicht«, sagte ein Anderer, »er ist grün geblieben. Angeblich tut er das für einen Frosch.«

»So ein dummer Baum«, sagte die Blaueiche »er muss die Blätter abwerfen, damit er mehr Kraft im Stamm hat, für den Winter.«

Aber der Winter scherte sich nicht um den Eitlen. Er kam und er brachte den Schnee mit. Es war unglaublich: Mitten im Park, dort wo der Schnee bis zu den Knien reichte, da stand eine Baum. Mit kräftig-grünen Blättern. Er tat es für den Frosch, aber der hielt schon längst Winterstarre.

Es wurde Frühling. Das neue Gras war schon da, die Bäume bekamen wieder Knospen. Der Frosch kam wieder. Er wollte seinen immergrünen Freund besuchen. Doch dort, auf dem Hügel, da war kein Baum mit grünen Blättern, da war einer mit keinem einzigen Blatt.

»Hallo?« fragte der Frosch. Er bekam keine Antwort. Der immergrüne Eitle war tot.