Theodora Bauer (11)

Der einarmige Bandit

In einer dunklen Herbstnacht schlich ein Mann durch die kleine Tür in der Schlossmauer. Er sah sich mit scheuen Blicken um. Vielleicht lauerten sie dort zwischen den Bäumen im Park auf ihn? Unter seinem schwarzen Regenmantel drückte er ein kleines Bündel fest an sich. Seinen Schatz durften sie ihm nicht fortnehmen, eher würde er sein Leben dafür geben.

Da hallte ein Schuss durch die Nacht. Der Mann schrie auf und fasste sich an die linke Schulter. Jetzt rannte er um sein Leben. Mit einem mächtigen Satz schwang er sich aufs Pferd und galoppierte auf das Tor zu.

Der Mann hatte Juwelen aus dem Schloss gestohlen, da er sein letztes Geld im Casino verspielt hatte. Er war geschickt vorgegangen und hoffte, niemand habe etwas bemerkt. Der Schuss in seine Schulter hatte ihn eines Besseren belehrt!

Kommissar Jacob Hunter hatte den Mann sehr wohl gesehen. Er hatte an diesem Abend Dienst geschoben, denn der Schlossherr hatte um Polizeischutz gebeten, da er vor einigen Tagen Spuren eines versuchten Einbruches beobachtet hatte. Schließlich hatte Kommissar Hunter auch bemerkt, wie ein mittelalterlich gekleideter Mann durch die kleine Tür in der Schlossmauer schlich und sich danach auf ein im Mondenschein hell schimmerndes Pferd schwang. Er hatte einen Schuss abgefeuert und gesehen, dass der Mann sich an die Schulter fasste, jedoch flüchten konnte.

Noch am selben Tag, oder besser gesagt, in der selben Nacht berichtete Kommissar Hunter den Vorfall seinem Chef. Der Schlossherr hatte bereits telefonisch den Einbruch und den Verlust des gesamten Familienschmucks gemeldet.

»Wir werden die Ermittlungen wohl mit dem Privatdetektiv der Versicherungsgesellschaft führen müssen, bei der der Schlossherr seine Juwelen versichern hat lassen. Sie sollen einen ungeheuren Wert darstellen!« meinte Jacob Hunter.

Sein Chef stimmte ihm zu und betraute ihn und seinen Freund und Kollegen Edward Jones, genannt Eddie, mit der Lösung des Falles. Sie sollten unverzüglich zur Spurensicherung ins Schloss aufbrechen.

Eddie hatte den Dienst angetreten, obwohl er eigentlich wegen eines Reitunfalles im Krankenstand sein sollte. »Da hat mich das Biest doch richtiggehend abgeworfen, Jacob!«, erzählte Eddie. Er sprach von seinem geliebten Schimmel Apple, den er als Einsteller bei einem Bauern untergebracht hatte. Reiten war Eddies liebstes Hobby.

Eddie fuhr fort: »Meine Schulter tut verdammt weh. Was Apple wohl so erschreckt hat? Das tut er doch sonst nie! Ich brauche unbedingt noch ein Bier, bevor du mich ins Schloss fährst!«

Deshalb kamen Jacob und Eddie erst nach einer halben Stunde im Schloss an.

Die Spurensuche ergab wenig. Was Kommissar Jacob Hunter fand, war lediglich eine Quittung des Kostümverleihs Knell. Seltsam, wo doch die ganzen Kostüme des Personals vom Kostümverleih Reading stammten? Es war nämlich eine Spezialität des Schlossherrn, dass er seine Fremdenführer bei Schlossführungen mittelalterliche Kostüme tragen ließ. Das brächte mehr Umsatz, meinte er. War überhaupt sehr geschäftstüchtig, der Herr Schlossherr. Das sah man an seinem aufwändigen Lebensstil.

Eddie meinte. »Wahrscheinlich ist das die Quittung des Einbrechers, den du angeschossen hast! Du sagtest doch, er trug ein mittelalterliches Kostüm! War eine gute Idee, so ist er unter all den kostümierten Fremdenführern nicht aufgefallen und konnte in Ruhe den Einbruch vorbereiten!« Damit gaben sich Jacob und Eddie zufrieden und machten für diese Nacht Schluss.

Am nächsten Morgen erwartete sie am Kommissariat neben ihrem Chef ein vielsagend dreinblickender Privatdetektiv, Detective Brown. Er sagte: »Nachdem Sie nach Hause gefahren waren, habe ich noch etwas Interessantes entdeckt: Ein geheimes Casino, das im Burgkeller untergebracht war. Natürlich ist es sofort geschlossen worden, und alle Mitarbeiter wurden entlassen. Und noch etwas habe ich entdeckt: Beim Kostümverleih Knell wurde vor einigen Tagen ein Mittelalterkostüm entliehen. Wir wissen noch nicht, von wem, aber wir haben eine genaue Personenbeschreibung.« Plötzlich rannte Eddie weg.

Da sagte Kommissar Hunter: »Ich weiß, wer der Einbrecher ist! Eddie! Er hat mich gestern zu einem Bier eingeladen, als wir sofortige Nachforschungen anstellen sollten. Damit wollte er mich bloß aufhalten, denn das Casino hatte noch offen, und die Leute dort sollten noch Zeit haben, dicht zu machen, bevor wir kamen. Und vor einiger Zeit hat er auch gesagt, er müsse zum Kostümverleih!«

Schnell rannte Detective Brown Eddie hinterher und fasste ihn, denn Eddie war mit seiner Schulterverletzung zu langsam, um entkommen zu können. Als der Detektiv mit Eddie zurückkam, meinte Jacob: »Und deine Schulterverletzung stammt nicht von Apple, sondern von meinem Streifschuss! Jetzt hätte ich nur noch gern dein Tatmotiv, Eddie!«

Eddie antwortete: »Ach, Jacob, eigentlich bin ich froh, dass alles aufgeflogen ist. Eine Verbrecherkarriere ist für einen Polizisten offensichtlich doch nicht das Wahre. Ich brauchte Geld wegen meiner Spielsucht, deshalb habe ich die Juwelen gestohlen. Ich war nämlich Stammgast im geheimen Schlosscasino, und zwar am einarmigen Banditen!«

»Einarmiger Bandit? Jetzt bist du leider selber einer, Herr Kollege«, sagte Jacob Hunter grimmig und sah Eddie enttäuscht an.