Marie Pilz (9) 8. Preis

Der Moment der Wahrheit

Es war ein schrecklicher Tag für Kathi, genauer gesagt für Katherin Johanna Schönecker. Denn übermorgen war es so weit, die Mathematikschularbeit. Die dritte der 1. Klasse Gymnasium. Auf die erste hatte sie einen Zweier, auf die zweite einen Dreier. Würden die Noten sich immerzu verschlechtern ? Geplagt saß Kathi vor ihrer Hausübung, und war schon so müde, dass sie normalerweiße nicht einmal mehr hätte wissen können wie viel 32:4 ist. Und jetzt sollte sie auch noch über 50.000 rechnen. Sie fluchte. Am liebsten würde sie jetzt doch in die Hauptschule gehen. Außerdem lief ihr die Zeit davon. Jede dritte Minute brüllte ihre Mutter die Stiege hinauf, dass sie sich umziehen solle, weil sie jetzt zur Hochzeit von Tante Ursel gehen müssten. Kathi sah gar nicht ein, warum sie nicht in Blue Jeans zur Hochzeit gehen durfte. In ihr weißes Kleid passte sie sowieso nicht mehr hinein. Und dass sie von der Torte dick werden würde, sagte sie auch, abgesehen davon, dass Kathi gar nicht mehr dicker werden konnte, weil sie dann nämlich geplatzt wäre. Für ihr Alter war Kathi nämlich sehr dick, aber sie versuchte abzunehmen.

Zwei Stunden später war Kathi zwar erst bei Nummer 2 von fünf Nummern,, aber immerhin hatte Ursel sich mit einem kurzen und bündigen "Ja" einen 5.000 Schilling-Ring an den Finger stecken lassen. Immerhin sehr lobenswert für Ursel, aber wenn Kathi in der Schule wäre, hätte Frau Professor Trelech sie sowieso schon erwürgt.

Endlich fuhren sie ins Gasthaus. Kathi kam sich in dem hellroten Seidenkleid klarerweiße wie eine aufgepumpte Rose vor, aber immerhin besser als das weiße mit den himmelblauen Rüschchen.

Ewig kam ihr die Hochzeit vor. Wie schön sie sich doch an ihrem Schreibtisch mit Mathe plagen oder sich Vaters melancholisches Gejammere anhören könnte, wer ihm schon wieder den Sportteil der Kleinen Zeitung gestohlen habe. Aber sie musste an Putenfleisch mit Kartoffelsalat kauen. Um ca. halb elf wollte Kathi wirklich nach Hause. Sie war müde und es war Sonntag. Sie fürchtete sich ja schon genug vor Dienstag, jetzt nicht auch noch vor Montag. Ihre Mutter erlaubte ihr nach Hause zu gehen.

Kathi stapfte los. Lieber wären ihr Taxi oder Bus oder gar Bahn gewesen, denn in dem Rosenkleid sah sie noch dicker aus als normal. Zuhause schloss sie die Tür auf und stellte sich als erstes auf die Waage, dann ließ sie ein relativ lautes "Scheiße!" los, das ihr schon den ganzen Tag auf den Lippen lag. 51 Kilo, Kathi war deprimiert. Sie stieg die Stiege hinauf in ihr Zimmer und warf sich auf ihr Bett. Sollte sie jetzt noch drei Nummern mit Inhalt a,b,c,d machen, um morgen dann zehn Fehler zu haben?

Kathi entschied sich für zehn Fehler. Denn, hat man eine Aufgabe nicht, muss man sie nachmachen. Bei Verbesserungen sagen Lehrer: "Mach sie!" und man hört nie mehr was davon. Also machte Kathi die Aufgabe, schrieb bei den Ergebnissen irgendwas und legte sich schließlich ins Bett.

Sieben Uhr Früh, Naturkatastrophe, Kathi fiel aus dem Bett. Sie rabbelte sich auf und brachte ihren nervenzerfetzenden Kuhwecker, der Kathi jedesmal mit fünf lauten "Muuh!!-Tönen" aus dem Schlaf riss, zum Schweigen.


Noch zwei Tage Zeit, eigentlich nur einer. Aber diese Zeit kam Kathi ziemlich gering vor. Für sie stand zumindest ein Dreier fest.

Als sie dann 20 Minuten später beim Frühstückstisch saß, hatte sie zwar schon längst vergessen, dass sie sich gestern um elf Diät geschworen hatte, aber wenn sie es noch gewusst hätte, wäre der Schwur wahrscheinlich sowieso gestorben.

Bald darauf saß sie in der Schule und hörte sich biblische Geschichten inklusive Lieder an. Natürlich unter der Leitung Frau Dr. Ringseiferers, welche eine Stimmer wie ein Papagei hatte. Sie zwang Kathi natürlich wieder einmal die liebliche Klassenkerze zu entzünden.

Zweite Stunde Turnen. Kathi kam erst beim vierten Versuch über den Bock und rutschte 25mal vom Knotentau ab. Leitung, Herr Wechseler.

3. Stunde Mathematik. Kathi war furchtbar erschrocken, denn der liebe Herr Kolerowitz schrieb die Verbesserung in seinen Terminplaner. Kathi musste es verbessern. Schreckliche acht Fehler verbessern. "Na dann, viel Glück morgen", murmelte Kathi in sich hinein.

4. - 5. Stunde Deutsch, Frau Professor Trelech, 2 Stunden Trelech. Kathi hasste sie wirklich sehr. Auch wenn sie sie erst seit einem knappen halben Jahr hatte, war diese Lehrerin ihr von allen am meisten zuwider. Und sie würde morgen die Mathematikschularbeit beaufsichtigen. Ach ja, morgen, morgen, morgen wie sollte Kathi denn jemals zum Üben kommen. Sie brauchte doch so lange für die Aufgabe! Sie hatte eindeutig zu wenig Zeit. Ja, Kathi war wirklich zeitgeschädigt.

Schrecklich für sie!

Und schließlich die 5. Stunde, Englisch. Herr Nessler ließ seine Klasse das Leichteste auf Gottes Erdboden machen, in der Mappe arbeiten. Sonst mussten Kathi und ihre Klasse immer irgendetwas, was Herr Nessler auf die Tafel schrieb, übersetzen. Das war meistens schrecklich. Aber sie durften ja in der Mappe arbeiten.

Schließlich läutete es und alle stürmten aus der Klasse. Kathi mit ihren 50 Kilos natürlich als letzte. Zuhause angekommen, wurde ihr Spinatstrudel vorgesetzt "Iiiii!" fuhr Kathi hoch. Erinnerte sich dann aber doch an ihr gestriges Gewicht und aß.

Schrecklich war der Mathematik Lehrer heute gewesen. Extra viel Aufgabe und dann noch diese Fehler, die er in den Terminkalender geschrieben hatte.

Von eins bis drei saß Kathi an ihrem Schreibtisch, packte dann rasend alles wieder in die Schultasche und versuchte die Stiege hinunter zu laufen, was allerdings nicht klappte, weil Kathis Gewicht das Laufen wiedermal nicht zuließ.

Sie stieg in die Schuhe und ging zur Tür hinaus zu ihrer Mutter ins Büro. Die hatte fest geschworen mit Kathi Mathematik zu üben. Kathi befürchtete zwar, dass die Zeit zum Üben kurz sein würde, zu kurz, denn morgen war es schon so weit, aber trotzdem übten sie, sie übten und übten und übten fünfundzwanzig Minuten lang. Dann musste Kathis Mutter weiter arbeiten. Irgendetwas für die Geschäftsleitung musste sie ausdrucken.

Kathi ging nach Hause. Für sie war die Lage hoffnungslos.

Nächster Morgen, sieben Uhr Früh, Naturkatastrophe, Kathi fiel aus dem Bett. Sie brachte den Wecker zum Schweigen und konnte an gar nichts anderes mehr denken. Bald war es so weit. Die Stunde der Wahrheit, die entscheidende Minute, die Schularbeit, die ihr Halbjahreszeugnis ausmachen würde, war ganz nah.

Sie war, als sie in der Klasse saß, bestimmt das aufgeregteste Kind der Klasse, nein der Schule, nein des Bezirkes, ach was des ganzen Kontinents. Sie bekam ein Blatt aufs Pult geworfen. Ein Blatt mit sieben Sachrechnungen, sieben lebenswichtige Rechnungen. Kathi war zwar drittletzte, aber sie fühlte sich sicher und solche Gefühle sind immer gut.

Vier Tage darauf flog Kathi beinahe nach Hause. Diesen Moment, in dem sie ihrer Mutter diesen Zettel mit den sieben Sternen und dem eindeutigen "Sehr Gut!" entgegenstrecken konnte, würde Katherin Johanna Schönecker ihr Leben lang nicht vergessen.