Angelina Orthacker (12) 11. Preis
Ein verhängnisvoller Irrtum
Ich stieg von einem Fuß auf den anderen und blickte alle zehn Sekunden auf die Uhr. Die Ungeduld schien sich immer tiefer in mich hineinzufressen. Dieser Bus musste sobald wie möglich auftauchen. Ich hatte es sehr eilig, nach Hause zu kommen. Meine Lieblingstante war zu Besuch. Ich sah sie nur alle paar Jahre einmal, und sie konnte nur bis morgen früh bleiben.
Ungeduldig ging ich am Gehsteig auf und ab und drehte mich im Kreis. Die anderen Leute starrten mich genervt an. Doch beim Gedanken, dass ich im Moment wie ein verrücktes Huhn aussehen würde, kam ich zum Schmunzeln. Meine Schule war gesiedelt, und heute würde ich das erste Mal mit dieser Buslinie fahren.
Endlich kam eine alte Schepperkiste die Straße entlang gerumpelt. Zu aufgeregt war ich, als dass ich hätte schauen können, ob es wohl die richtige war. Tja, das war ein nicht gerade so kleiner Fehler.
Die Tür des Fahrzeugs öffnete sich. Ich stieg ein. Der Bus war nicht gerade am neuesten Stand, doch die Kunstblumen hier vorne schienen einen beruhigenden Eindruck bei mir zu wecken. Auch das Stofftier in Form einer Katze fand ich herzig.
Die Leute hier waren seltsam. Sie waren wie meine Eltern, wenn sie im Flugzeug saßen und auf den Start warteten. Und außerdem trugen sie soviel Gepäck bei sich. Aber ich machte mir weiter nichts daraus.
Ich war schon immer etwas kritisch gewesen, neben wem ich im Bus saß, aber vor allem jetzt, bei meinem ersten Mal im Bus eines neuen Verkehrsunternehmens, war ich besonders heikel. Prüfend schritt ich durch die Reihen. Ganz vorne saß eine junge Dame, aber sie schien etwas ..., was auch immer, sie war mir einfach unsympathisch. Mein nächster Blick schweifte zu einem Mann mittleren Alters. Er war groß und dünn, doch seine Miene war ernst. Darum ging ich auch an ihm vorüber. Nun endlich saß hinter dem Herren ein freundlich wirkende alte Dame, die mich mit einem Lächeln begrüßte.
Ich ließ mich auf den Platz neben ihr sinken und zog aus der wieder einmal schweren Schultasche, die ich gerade eben neben mir auf Boden hatte plumpsen lassen, meine Getränkeflasche. Das lange Warten auf den Bus hatte mich sehr durstig gemacht.
»Bist du schon aufgeregt wegen der langen Reise?« begann die Dame mit mir zu plaudern. Jetzt jagte sie mir Angst ein. Wie hatte sie gemerkt, dass ich so übermütig gewesen war? Ich meinte, es wäre bloß eine Busfahrt. War sie vielleicht eine Hellseherin? Nein, das konnte nicht sein. Sie hatte sich in einem Punkt geirrt. Meine Reise war doch nur fünf Stationen lang. Ich ertappte mich gerade dabei, meinen Mund immer weiter aufzuklappen. Schnell schloss ich ihn wieder und antwortete mit einem nicht gerade überzeugenden »Nein«.
»Wo sind denn deine Begleiter?« wollte sie wissen.
»Ähhh, ich fahre alleine von der Schule nach Hause«, erwiderte ich.
Langsam setzte sich die alte Frau auf und krallte ihre Fingernägel in meine Schultern. Während sie mich immer fester in meinen Sitz drückte, riss auch sie ihre Augen auf. Für mich schien die Zeit still zu stehen. Ich wollte schreien, doch gerade noch rechtzeitig merkte ich, dass keine Böswilligkeit in ihren Augen glänzte. Es war Furcht. Ihre Hände krallten sich nicht in meine Schultern. Die Dame hielt mich fest, als würde ich verschwinden, wenn sie mich losließe. Nachdem sie mich ein bisschen durchgerüttelt hatte, beruhigte sie sich wieder. »Pfrss.« Der Rest des Orangensaftes, den ich gerade schlucken wollte, war jetzt in die falsche Richtung unterwegs, nämlich aus meinem Mund genau auf die Frisur des ernst wirkenden Herrn vor mir, der sich jetzt langsam umdrehte. Der Auslöser für dieses Missgeschick war die dritte Frage der Dame gewesen. Diese Frage war die wahrscheinlich schrecklichste gewesen, die mir je in meinem Leben gestellt worden war, und zwar: »Weißt du eigentlich, dass das gar kein Bus ist?«
Wirklich grauenhaft blickte mich der Mann an, als wollte er mich zur Hölle schicken.
»Das arme Kindl weiß doch gar net, dass es in einer Zeitmaschine is«, versuchte mich die neue Frau zu verteidigen.
»Zeitma ... shit!« das war für mich zuviel. Schwindel überfiel mich, und mir wurde schwarz vor den Augen.
Als ich wieder zu mir kam, konnte ich eine Matratze unter mir ertasten, einen Polster unter meinem Kopf und eine Decke über mir. Dann schließlich schaffte ich es auch, meine verklebten Augen zu öffnen. Zuerst blendete mich das Licht sehr. Doch bald konnte ich zwei Gestalten erkennen, die sich bald zu meinen Eltern ausmalten. Es dauerte nicht lange, bis ich wieder prima sehen konnte und bemerkte, dass ich mich in einem Krankenzimmer befand. Plötzlich schwang die Tür auf, und herein stolperte, mit hübschen Blumen, die nette Dame aus der Zeitmaschine.
Diesmal war ich diejenige, die zu plaudern begann: »Hallo, ähh .... wie bin ich eigentlich wieder in die Gegenwart gekommen? Also, ich meine, die Maschine war ja schon gestartet worden.«
Die alte Dame erklärte: »Natürlich mit der Zeitmaschine. Wir haben die Anderen in der Steinzeit abgeliefert und sind wieder hierher zurückgekehrt.«
Diesmal fühlten sich meine Eltern überfordert. Sie waren beide kreidebleich. Meine Mama konnte sich gerade noch bei meinem Nachtkästchen vor dem Umkippen retten. Doch mein Papa hatte nichts Greifbares in der Nähe, und ich glaube, ihr könnt euch schon vorstellen, was mit ihm passierte!