Anton Maurer (10)

Der Gespensterritter

Es war im Jahre 1094. Auf der Burg Falkenstein in Meisdorf bereiteten sich gerade viele Ritter auf den bevorstehenden Kampf vor. Es herrschte gute Stimmung, weil die Ritter sich freuten, dass es nun endlich wieder einmal ein großes Ereignis gab. Der einzige, der sich nicht freute, war Ritter Arnold. Er hasste es, Blut zu vergießen. Als dann der Angriff kam, saß er traurig in einer Ecke und rührte sich nicht.

»Komm doch!« rief Ritter Roderich kampflustig, »Mach mit, oder hilf mir wenigstens, diesen Stein hier hinunter zu werfen.«

Aber Ritter Arnold weigerte sich hartnäckig. Da wurde Ritter Roderich so wütend, dass er Ritter Arnold seinen Speer mitten durchs Herz jagte. Ritter Arnold verfluchte Ritter Roderich und dessen Hartherzigkeit noch, dann sank er tot zu Boden. Roderich warf ihn vom Bergfried.

Doch dann bereute er seine Tat, und ihm wurde bewusst, was er da soeben getan hatte. Es überlief ihn kalt und heiß. Er zog seine Rüstung aus. Dann fuhr ihm ein gegnerischer Pfeil in die Brust.

Doch auch im Tod konnte Ritter Roderich die Ruhe nicht finden. Bis vor kurzem geisterte er in Kellern herum, von denen er glaubte, es seien Burgkeller. (Das trifft aber nur sehr selten zu.) Tagsüber ließ er sich nicht blicken. Aber wenn die Uhr Mitternacht schlug, dann erwachte er und stöhnte bis eins: »Gnade, Gnade, lasst mich in den Himmel.«

Kurz vor eins begann er dann jedes Mal zu weinen und zu kreischen. Und wenn er ganz besonders traurig oder wütend war, dann schlug er seinen Kopf an die Wand oder schlug sich denselben ab. (Das hat er schon zigtausende Male gemacht.)

Das alles tat er bis zu dem Tag, an dem Lukas und Markus, in deren Keller er sich gerade befand, von seinem Heulen aufgewacht waren. Da die beiden sehr mutige Geschwister waren, gingen sie ohne zu zögern in den Keller, um zu sehen, wer sich da herumtrieb. Als sie vor der Kellertüre standen, hörte sich das Geheule schon richtig herzzereißend an. Trotzdem drückte Lukas die Klinke nieder.

Ruckartig drehte sich das Gespenst, der ehemalige Ritter Roderich, um. Er produzierte noch ein paar Schluchzer, dann fragte er mit dumpfer Stimme: »Wollt ihr mich retten?«

Zaghaft nickten Lukas und Markus. Ein hoffnungsvoller Schimmer trat in die Augen des Ritters. Er sprach: »Es mag euch seltsam erscheinen, aber wenn ihr mich von meinem Fluch befreien wollt, müsst ihr die ganze Nacht mit mir spielen.«

Die zwei grinsten. Lukas rief. »Wie wär’s mit Volleyball?«

Sie spielten bis in die Früh mit dem Gespensterkopf Ritter Roderichs. In der Früh setzte Ritter Roderich den Kopf wieder auf und verkündete feierlich: »Jetzt bin ich erlöst.« Dann berührte er sie beide mit der Hand auf der Stirn und löste sich in Luft auf. Er winkte den Kindern noch einmal selig lächelnd zu, dann war er verschwunden. So hatte die Seele Ritter Roderichs nach fast tausend Jahren in den Himmel gefunden.

Dort aber, wo er Markus’ und Lukas’ Stirn berührt hatte, bildete sich ein weißer Fleck. Er ging nicht mehr weg. Nie mehr!