Martina Gütl (13) 10. Preis

Die Zeiten ändern sich, Steffi

Wie eine wandelnde Traumfigur stand ich jenen Morgen am Bahnsteig 4 und fixierte den Zug nach München mit meinen Augen. Wahnsinn, wie wenige Leute heutzutage noch den Schienenverkehr in Anspruch nahmen. In fast keinem Abteil war ein Mensch zu sehen. Nur hier und da saß einer und blätterte genervt in seiner Zeitung.

Doch wo befand sich er?

Ich musste ihn unbedingt finden, bevor der Zug abfuhr! Wie in Trance begann ich am Bahnsteig auf und ab zu wandeln, den Blick nicht von den Waggons gewendet.

Ach, irgendwo musste er doch sein!!

Schnell wanderten meine Augen auf meine Uhr. Ja, es stimmte! Heute war Silvestertag, der letzte Tag des Jahres. Da wollte er wegfahren.

Nein, er durfte mich nicht verlassen! Ich liebte ihn doch!! Und das wollte ich ihm auch jetzt sagen!

Meine Schritte wurden merklich schneller, bis sie in ein Laufen übergingen.

War er vielleicht noch gar nicht am Bahnhof? Nein, das konnte nicht möglich sein, der Zug würde in fünf Minuten abfahren.

Da ging mir plötzlich ein Licht auf: Und was, wenn er auf der anderen Seite saß und ich ihn von hier aus nicht sah?

Ich entschloss, dass es das Beste sein würde, den Schaffner aufzusuchen.

Puh, hatte ich ein Glück. Denn als ich mich umgedreht hatte, war ich direkt mit ihm zusammengestoßen.

„Junge Lady, warum so stürmisch?“ murmelte der kleine, etwas rundliche Mann und stieß dann einen spitzbübischen Lacher aus. „Hahaha!“ verspottete ich ihn im Geheimen, bat dann aber höflich und freundlich: „Bitte, sie müssen mir helfen. Mein Freund........,“ sofort schoss mir durch den Kopf, dass das ja eigentlich nicht mehr stimmte. Schließlich war er nur mehr mein Ex-Freund, doch was ging das den fetten Schaffner was an. „Mein Freund sitzt im Zug, und ich muss in unbedingt noch einmal sprechen. Es ist wirklich total wichtig! Bitte.....,wenn er jetzt nach München fährt .....“ Der Schaffner unterbrach mich mit einem äußerst klug klingenden: „Sagten sie `München`, junge Lady?“ Ich nickte bejahend, dachte mir allerdings im Stillen: „Nein, Sydney, du Doofbacke!“ Kurz musste ich in mich hineinlachen, war dann aber wieder total ernst. „ Mmmh, ich sagte München!“ „Naja, dann ist das hier aber der falsche Zug, junge Lady! Der nach München steht da drüben! Sehen sie? Ich glaube......“

Ich erlaubte mir, denn Rest seiner Ansprache nicht mehr anzuhören und sprintete los. Oh Gott, der Zug mit ihm stand auf Bahnsteig 3 und nicht auf 4! Ich musste es in meiner Aufregung vergessen haben. Zu dumm, zu dumm, zu dumm!!

Der Zug rollte auch schon, da erblickte ich ihn. Er saß an einem Fensterplatz und las irgendwas. Mir schossen Tränen in die Augen. So heftig wie ich nur konnte, begann ich zu winken und zu schreien. Doch keiner bemerkte mich, nicht einmal er. Der Zug hatte mittlerweile schon ein beachtliches Tempo erreicht. Fand zumindest ich, schließlich rannte ich daneben her.

Schneller, schneller! Wenn er dich sieht, zieht er bestimmt die Handbremse. Ich musste es schaffen! Ich musste ihm sagen, dass er nicht fahren durfte, ich liebte ihn doch so sehr.

Warum hatte ich nicht schon vorher den Mut gehabt meine Eitelkeit und meinen Stolz zu überwinden und es ihm zu sagen. Wie dumm war ich doch gewesen. So lange hatte ich Zeit gehabt ihm meine Liebe zu gestehen, alle Zeit der Welt. Schon gleich am Anfang nach unserer Trennung hatte er mir erzählt, dass er Silvester wegfahren .........und wenn ich bis dahin nicht zur Besinnung gekommen war, nie wieder kommen würde. In München hatte er nämlich eine perfekte Ausbildungsstelle angeboten bekommen und außerdem lebte auch seine Großtante in dieser Stadt. Noch ein Grund mehr dorthin zu ziehen.

Er hatte mir sehr viel Zeit gegeben, um mich bei ihm zu entschuldigen. Denn er wusste, dass ich länger brauchen würde, um einzusehen, dass ich einen Fehler gemacht hatte und nicht er!

Drei Monate, ganze drei Monate. Und heute liefen sie ab. Ich hatte die Zeit vollkommen genützt. Noch gestern war mir noch nicht klar gewesen, ob ich überhaupt kommen würde. Doch heute befand ich mich hier und rannte neben dem fahrenden Zug her, dass zählte.

„Bitte, bitte, bitte, hör mich doch endlich! Ich habe es eingesehen und bin hier um mich zu entschuldigen!“ hämmerten meine Gedanken. Schreien konnte ich nicht mehr, ich bekam schon so kaum noch Luft.

Jetzt fuhr der Zug aus dem Bahnhofsgelände aus. Meine Schritte verlangsamten sich und ich ging in die Knie. Die Tränen flossen mir über das Gesicht und ich schrie laut auf: „NEIIIIIN!“

Dann sank mein Körper zu Boden und ich blieb willenlos liegen. Das Letzte was ich hörte, war, das irgendwas laut quietschte, danach schwebte ich hinweg in eine Zeit, wo noch alles schöner war.

 

Alle lachten und feierten, tranken Fruchtcocktails und unterhielten sich prächtig. Ich stand nur daneben und kam mir völlig fremd vor, so, als ob ich nicht dazugehörte.

„Na toll,“ dachte ich mir, „wenn das so weitergeht, wird das ja ein schönes Silvester!“

Da hörte ich eine weiche und sanfte Stimme hinter mir: „Hallo, siehst ja nicht gerade glücklich aus! Was ist los!?“ ich drehte mich um und blickte in dunkle, braune Augen, die mich sanft anlächelten. „Naja, ich kenn auf dieser Party niemanden, das kann ganz schön langweilig sein!“ „Versteh ich gut, mir geht´s ja genau so! Übrigens, mein Name ist Chris!“ „Freut mich, ich bin Steffi!“ erwiderte ich. Endlich hatte ich jemanden zum Tratschen und Tanzen.

Als dann der Countdown ins neue Jahr gezählt wurde, küsste Chris mich zum erstem Mal.

 

Seitdem waren wir ein Paar und total glücklich. Die Zeit war so schön. Wir teilten alles; Geheimnisse, Hobbies.........., und jetzt sollte alles vorbei sein. Nur weil ich mit meiner Eifersucht, ich glaubte Chris `nur` für mich alleine haben zu müssen, alles zerstört hatte. Und nun hatte ich es nicht einmal fertig gebracht, bei ihm um Verzeihung zu bitten. Und hatte so darauf gewartet, dass wusste ich.

Warum musste ich es immer aufschieben: Morgen ist auch noch ein Tag und so. Auf diese Art verstrichen die drei Monate, und nun war er weg. Meine große Liebe: Chris.

Oh, es tat mir so leid. Zu spät allerdings.

Die Zeit ist grausam, denn keiner vermag sie zu halten und was vergangen ist, kommt nie mehr zurück. Das muss man eben in sein Leben einschließen. So ist es nun mal.

 

Da rüttelte mich plötzlich jemand an der Schulter und flüsterte meinen Namen. Dieser jemand hatte eine weiche und sanfte Stimme.

Langsam blickte ich auf. Dunkle, braune Rehaugen sahen mich an.

„CHRIS!“

Ich fiel ihm um den Hals und begann noch heftiger als früher zu heulen. Er hatte mich doch bemerkt, es war nicht um sonst gewesen. Ich zersprang fast vor Freude und Erleichterung.

„Oh, es tut mir so leid!“ flüsterte ich ihm ins Ohr. Darauf strich er mir über das Haar und meinte: „Es wird alles gut, Steffi! Die Zeiten ändern sich!“

 

 

WAS IST ZEIT?

Ein Gedicht

 

Zeit. Was ist Zeit?

Ist sie Traum oder Wirklichkeit?

Ist sie schwarz oder weiß,

ein kleines Kind, ein alter Greis?

 

Lebt sie ewig, stirbt sie bald?

Fühlt sie sich warm an oder kalt?

Vielleicht trocken oder nass?

Ist sie Liebe oder Hass?

 

Holt sie wirklich jeden ein?

Ist ihr Herz hart wie aus Stein?

Hat sie Macht über das Leben?

Kann sie Freudenstunden geben?

 

Alles das ist eine Frage,

doch wer mir die Antwort sage,

ist gewiss ein weiser Mann,

weil das keiner wissen kann.