Eva Maria Fleissner (13) 5. Preis

Zeitreise in die Zukunft

»Ach wirklich?« fragte sie. Doch es war ihr nicht gelungen, ihre Stimme so zu verstellen, dass sie nach einer interessierten Frage klang. Ich konnte deutlich den Hauch von Ironie heraushören. Anscheinend schenkte sie meiner Geschichte keinen Glauben, was aber auch nicht zu erwarten war. Wenn mir jemand erzählen würde, durch die Zeit gereist zu sein, würde ich ihn entweder in eine Nervenanstalt bringen, oder diesen trockenen Humor nicht verstehen. Ich hielt es für unnötig, meine Mutter noch länger damit zu belästigen, und so beschloss ich, in mein Zimmer zu gehen und meine Gedanken meinem Tagebuch anzuvertrauen. Mein Tagebuch war im Moment sowieso das einzige, das mir zuhören und mich nicht auslachen würde.

Schon wollte ich die Treppe hinauflaufen, als ich im Augenwinkel meine Mutter – eine Glasschüssei in der Hand tragend – in die Küche gehen sah. »Vorsicht, sie wird dir entgleiten!« entfuhr es mir. Ich war erstaunt über mich selber und wunderte mich, woher ich das wusste. Vor meinen Augen sah ich schon die zerbrochene Glasschüssel. Und wirklich. Im selben Moment vernahm ich schon das Geräusch, das mir verriet, dass das wunderschöne Gefäß zersprungen war.

Entsetzt starrte mich meine Mutter an. »Wie konntest du mich nur so erschrecken? Sieh nur, was passiert ist!«

War sie so dumm, oder stellte sie sich nur so? Hatte sie nicht bemerkt, dass ich ihr gerade die Zukunft vorausgesagt hatte?

Heute war wirklich nicht mein Glückstag, denn ich musste mir noch eine lange Strafpredigt anhören, die wie immer mit Fernsehverbot für die ganze Woche endete. Eine kurze Zeit lang überlegte ich ernsthaft, ob diese Strafe einen Vor- oder einen Nachteil für mich darstellte, verwarf den Gedanken jedoch wieder und ging zu Bett.

Auf einmal befand ich mich auf einem großen Platz, an den einige Gebäude grenzten. Ratlos betrachtete ich die Bauten und wunderte mich, warum alle so seltsam aussahen. Ich war nicht in der Lage zu beschreiben, was diese Gebäude von herkömmlichen unterschied, doch ich wusste, dass sie nicht in die Zeit das 20. Jahrhunderts passten.

Als ich so dahinschaute, fiel mein Blick auf ein Haus, das einer Burg ähnelte, jedoch einige seltsame Krümmungen aufwies, sodass ich es nicht zu identifizieren vermochte. Ohne es zu wollen, umrundete ich das eigenartige Bauwerk einige Male und stellte dann fest, dass es sich um die Lienzer Liebburg handelte. Jetzt wusste ich zumindest, wo ich mich befand, aber wie kam ich hier her, und vor allem warum ? Ah, nun fiel es mir wieder ein. Wahrscheinlich war ich wieder einmal durch die Zeit gereist. Diesmal war ich sichtlich in der Zukunft gelandet. Warum ausgerechnet ich die sonderbare Fähigkeit hatte, Zeitreisen zu machen, wusste ich selbst nicht, aber es gefiel mir.

Plötzlich vernahm ich ein lautes Knurren. Erschrocken drehte ich mich um und hielt nach Feinden Ausschau, doch nichts rührte sich. Ich hatte panische Angst. Welche Ungeheuer würden mir denn in der »neuen Welt« auflauern ? Vielleicht waren in Lienz Löwen angesiedelt worden. Das erklärte zumindest, warum ich bis jetzt noch keinen Menschen zu Gesicht bekommen hatte. Was sollte ich bloß tun? Ich ließ mich zu Boden sinken und tastete nach einem festen Gegenstand. Einen Pflasterstein umklammernd erhob ich mich wieder. Wenn es so etwas wie die Hölle geben sollte, dann war es das. Da war das angsteinflößende Geräusch wieder.

Zufällig griff ich auf meinen Bauch und nahm ein leichtes Vibrieren wahr. Offenbar wurden meine ohnehin spärlichen Geistesgaben durch diese Zeitreise dermaßen eingeschränkt, dass mir erst jetzt auffiel, wodurch das Knurren erzeugt worden war. Mir war klar: Ich musste meine Magensäfte schleunigst besänftigen, bevor noch andere menschliche Wegen – falls es so etwas überhaupt noch gab – Zeugen meines unschicklichen Verhaltens wurden. So beschloss ich, mir beim nahegelegenen Supermarkt etwas Essbares zu kaufen. Wenn die Liebburg noch existierte, würde es den Supermarkt wohl auch noch geben.

Den Supermarkt gab es zwar nicht mehr, doch anstelle des M-Preis stand nun ein automatischer Verkaufsstand, den man selbst bedienen musste, da. Durch eine Glasscheibe konnte ich eine sonderbare Dose ausmachen, von der ich vermutete, dass sie etwas Trinkbares enthielt. Ohne zu zögern, drückte ich auf ein Symbol, das mir den gewünschten Artikel zu verschaffen versprach. Ich kramte in meiner Hosentasche und ertastete schließlich einen Geldschein. Ungeduldig steckte ich den 20-Schilling-Schein in den Apparat, der das Geld verschlang. Doch anstatt des Getränkes erschien auf der Anzeigetafel die Auschrift: ZAHLUNGSMITTEL UNZULÄSSIG.

Erst jetzt entdeckte ich das auf der Glasscheibe klebende Plakat, das ersuchte, die Ware mit der neuen österreichischen Währung »Tahr« zu bezahlen. Was immer das heißen mag. Vielleicht weiß meine Mutter etwas darüber. Wenn wir schon einmal bei Mutter sind – die wird mit das sowieso nicht glauben; selbst wenn sie wollte, könnte sie es nicht. »Den Erwachsenen wird die Weit der Fantasie für immer verborgen bleiben«, dachte ich mir, als ich aus einem schönen Traum aufwachte. Irgendwie hat es auch etwas Gutes an sich. Ich werde die Bedeutung der Währung »Tahr« vielleicht bei meiner nächsten Zeitreise erfahren.