Lisa-Marie Falzberger (10) 3. Preis

Emma

Wem solche Redensarten wie: »Mit der Zeit wird alles gut«, »bis zum Heiraten ist alles vorbei«, oder »die Zeit heilt alle Wunden« vorkommen, hat die Geschichte meistens ein Happy-End. Und weil ich Geschichten mit einem guten Schluss liebe, werde ich versuchen, meine eigentlich ernsten Gedanken zu einer möglichst lustigen Story zu gestalten.

Aber jetzt endlich zur Geschichte:

Emma war ein sehr fettes Mädchen. Eigentlich heißt sie Lena Christina Martina, aber unter diesen Namen stellt man sich ein Kind vor, das aussieht wie das Gegenteil von Emma. Darum dachten sich die Leute verschieden Namen aus, z. B. Fettmobs, Kloß, Sauschi, Kotzbrocken ... Nur ihre Mutter und ihr Vater (die beide sehr sportlich sind und null Gramm fett haben) nennen sie Lenchen. Das Fräulein Schwester (hat auch nicht die geringste Ähnlichkeit mit ihrer Schwester) nennt sie einfach Emma. Und so wird sie auch in meiner Geschichte genannt.

Emma geht wie jedes andere Kind in die Schule. Obwohl ihr gerade dort besonderes Leid zugefügt wird. In der Früh wird sie schon empfangen: »Der Kloß ist los, der Kloß ist los – die Hosen sind besonders groß!«

»Oh nein, der Kotzbrocken kommt.« »Hallo Sauschi.«

Dann weint Emma, und die Lehrer schimpfen mit den anderen Schülern. Als Entschuldigung bekommt sie von Frau Sehnlich immer eine Packung Merci.

Dämlich, oder? Erstens heisst »Merci« danke und nicht Entschuldigung, und außerdem bekommt Emma dann zu ihrem 60-cm-Hintern noch 5 cm dazu. Und zu allem Überfluss wird Emma dann von ihren Klassenkameraden noch mehr gehänselt.

Eines Tages, Emma war gerade auf dem Weg nach Hause, rannte ein kleines Männchen mit Spiegelglatze auf sie zu: »Hallo Emma, kannst dich noch an mich erinnern?« sagte es völlig freudig, als ob es Frau Klasnic höchstpersönlich die Hand schütteln dürfte.

Völlig verwundert fragte Emma: »Kenne ich Sie?«

»Ach, Emma ich bin doch dein Opa!«

Emma sagte mit wenig Rührung: »Welcher?

»Krr, de Klane zipft mi aun! Da Mau von deiner verstorbenen Lieblingsoma!«

Jetzt seufzte Emma etwas freundlicher: »Warum hast du dich nicht mehr bei uns gemeldet?«

»Naja, mit da Clirissie (Emmas Schwester) hab ich ja eh Briefkontakt. Aber heute wollt ich einmal schauen wie es dir geht!«

Plötzlich knallte eine Hand voll Schottersteinchen an Emmas Kopf, wie ein Blitz fuhr Emmas Opa herum und packte den Übeltäter am Krawattl.

»Warum hast das g’macht, bist narrisch?« fragte der liebe Opa ganz aufgebracht.

»Weil sie soo eine fette Sau ist!«

»Mein Gott, glaubst du nicht, dass ihr Körpergewicht einen Grund hat?«

Emmas Opa erzählte dem Jungen, der Emma verletzt hatte, eine lange und sehr nachdenkliche Geschichte: »Angefangen hat alles mit einem sonderbaren Muttermal, weiches aber von niemandem beachtet wurde. Das Muttermal war aber ein Geschwür oder so was ähnliches. Und dann hat meine Emma eine Medizin bekommen, bei der die Haare ausgehen. Und so hat dann alles angefangen. Die Kinder haben sie ausgelacht und sie als ‚Glozate‘ beschimpft. Manche haben gerufen: ‚Kann ich auf dein Schädel spucken – meicht schau’n, ob’s platsch mocht.‘ Und weil sie keine Freunde mehr hatte, hat sie ein neues Hobby gefunden: Essen. Naja, und wie sie jetzt ausschaut, seht’s ja eh.

Also wenn du schon nur auf das Äußere schaust, dann tu ihr wenigstens nichts.«

»Entschuldigung, echt, ich habe dass nicht gewusst, und übrigens heiße ich Jonny.«

Der Junge lächelte Emma zu, und sie spürte, wie ihr das Blut in den Kopf schoss, und konnte Jonny nur zuwinken.

Da schaltete sich Emmas Opa wieder ein: »Du, Johnny, möchtest du zu uns nach Hause mitgehen – die Emma hat ein neues Computerspiel, vielleicht könnt ihr es gemeinsam spielen.«

»Von wem weißt du, daß ich ein neues Computerspiel habe?«

Ihr Großvater antwortete: »Für was hast du eine Schwester – die berichtet mir ständig – und mit deiner Mutter telefoniere ich auch einmal in der Woche. Und jetzt zu dir, Johny. Kommst mit?«

»Ja, aber kann ich bei Ihnen zu Hause meine Mutter ...« weiter kam er nicht, denn Opa antwortete: »Glaubst, wir haben kein Telefon, wir sind ja modern.« Und die drei Herrschaften trotteten los.

Nach einer herzlichen Begrüßung saß Hr. Mäuserich (Emmas Opa) mit seiner Tochter, seinem Schwiegersohn und seiner Enkelin Christina am Küchentisch und stopfte sich massenhaft Kekse in den Mund.

Aber Emma und Johmy saßen vor dem Computer und hatten wässrige Augen vor Konzentration auf das Computerspiel.

Anstatt dass sich Emma Chips in sich hineinstopfte, saß sie mit einem sogenannten Freund vor dem Computer und kämpfte gegen den bösen Mister Dark, der vorhatte, die (Computer-)Welt zu vernichten.

Drei Monate später.

»Kling kling«

»Oh, hallo Johnny«, rief Emma.

»Hi, Emma. Meine Mama lässt fragen, ob du mit uns nach Kärnten fahren möchtest?«

»Ich?« – Emma hatte Mühe, nicht in Ohnmacht zu fallen.

»Ist sonst noch wer da?«

»Natürlich du«, rief Johnny ausgelassen.

Da hielt ein Auto vor dem schönen Häuschen, in dem Emma wohnte. Und heraus sprang Emmas Opa.

»Opa!«

»Emma, ich werde jetzt zu euch ziehen. Ich habe schon mit deiner Mutter gesprochen, und sie hat zugestimmt«,stotterte Herr Maus todgerührt.

»Juhu-juhu!« krähte Emma.

Johnny lächelte ihr zu und sagte: »Ruf mich an«, und verschwand. Dann wurde in der Familie Maus doppelt gepackt und nach einer Woche war Opa zu Haus bei der Familie Maus eingezogen. Und Emma mit Johnny und seinen Eltern nach Kärnten verreist.

Drei Monate später war Emma heimgekommen – sie hatte mindestens 15 Kilo abgenommen und fühlte sich wie ein neuer Mensch. Die Fotos zeigen einen gewaltigen Unterschied!

Und Emmas Opa, dem sie eigentlich ihr Glück zu verdanken hatte, hatte sich im Haus Maus wie ein Mäuschen eingenistet.

Obwohl Emma noch nicht wusste, weshalb er sie nicht vorher schon besucht hatte oder wenigstens engeren Kontakt gesucht hatte, liebte sie ihn wie einen Gott.

Und die Worte, die ich schreibe, oder Opa sagte, sind: »Mit der Zeit wird alles gut.«

P.S.: Emma wird nicht mehr Emma genannt sondern heißt wieder: Lena Christina Martina – Maus.