»Begegnung«

Europäischer Literaturwettbewerb in deutscher Sprache


Begründung der Jury


Vom 15. bis zum 17. April traf sich die Jury zu ihrer entscheidenden Sitzung, die zum zweiten Mal im Literaturhaus Graz stattfand. Auch wenn uns in diesem Jahr eine eigens für uns entwickelte Software zur Seite stand, die den JurorInnen beim Eintragen der jeweiligen Bewertungen sowie beim Sortieren der Einsendungen half, war die letzte Entscheidung damit um nichts leichter geworden. Wie bisher führen nur intensive (Streit-)gespräche und die tief gehende gemeinsame Auseinandersetzung mit den vielen Vorschlägen für die vorderen Plätze zu einer Entscheidung, die wie jedes Jahr nur in einer Einigung auf die Preisträger bestehen konnte.


Nachfolgend versucht die Jury – wie jedes Jahr – zu begründen, warum ihr die GewinnerInnen-Texte gefallen haben.


1. Preis

»Geräusche der Stille« von Sabine Schönfellner


Dieser erstplatzierte Text entwickelt einen Sog, der die Lesenden den Bann zieht, so sehr, dass sie sich – wie die Icherzählerin – in den faszinierend labyrinthischen Korridoren eines geheimnisvollen Hauses verirren, ohne darüber verärgert zu sein. Das mag zum einen daran liegen, dass die Geschichte das Interesse beständig wach zu halten weiß durch immer neue Facetten des mutmaßlichen Geheimnisses, dem die junge Heldin hier begegnet. Zum anderen ist der wunderbar lakonische Tonfall ein Lesegenuss, der mit außergewöhnlicher Sprachsicherheit bis zum Ende durchgehalten wird.



2. Preis

»Der Falter« von Jule Sonnentag


Ein im Spinnennetz gefangener Nachtfalter wird für die Lesenden immer mehr zum Spiegelbild der Hauptfigur und rückt damit ins Zentrum dieser zweitplatzierten Geschichte einer noch jungen Autorin. Die Hauptfigur beobachtet den Falter im Badezimmer wie die Lesenden die Figur: mit wachsendem Erkennen einer sich vertiefenden Verzweiflung. Dass der Text dabei nicht weinerlich wird, verdankt er seiner angemessen reduzierten und genauen Sprache. Einzig der im letzten Absatz wie unmotiviert angefügte Schluss wirkt wenig überzeugend – bis dahin jedoch ist der Autorin eine wunderbar präzise Geschichte gelungen.



4. Preis

»Ich könnte aussteigen« von Selina Bruderer


Der vierte Preis geht einmal an eine junge Autorin für eine kurze, doppeldeutige Geschichte von einem Ich, das den eigenen Ausstieg fantasievoll durchspielt. Der Text beobachtet die Situation, die vielen vertraut sein dürfte, sehr genau. Dabei beschreibt er sprachlich präzise, was dem Ich durch den Sinn geht, und überzieht in seiner Geschlossenheit und Kürze den Spannungsbogen nicht. Leider war dieser Text der einzige in der Einsendung dieser Autorin.



»kind sein« von Anne Roepert


Der zweite vierte Preis geht an die Skizze eines Wiedersehens, die schlaglichtartig die Eckpunkte einer Beziehung zeichnet. Mit seiner verknappten Sprache weiß dieser Text das Fragmentarische zu nutzen und zwischen den Andeutungen das zu erhellen, was jenseits des Sagbaren liegt. Auch wenn vielleicht nicht alles in dieser Geschichte klar wird, bleibt es ein gelungenes Experiment.



5. Preis

»Birkenvorhang« von Mira Berkenblit


Diese Geschichte zeichnet stimmungsvolle und einfühlsame Bilder. Zwar wirkt nicht immer jedes gleichermaßen gelungen, doch stellt die noch sehr junge Autorin mit diesem Text außergewöhnliche Beobachtungsgabe und Sprachgefühl unter Beweis. Dafür erhält sie den fünften Preis.



Zu den besonderen Erwähnungen:


Auch in diesem Jahr wollte die Jury einige Texte hervorheben, ohne dass ein Preis vergeben werden konnte. Wir wollen das als Ermutigung zum Weiterschreiben einerseits und andererseits als ausgesprochene Leseempfehlung verstanden wissen. Alle hier erwähnten AutorInnen verdienen unserer Meinung nach – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen – eine besondere Beachtung.


Natürlich sind alle zur Veröffentlichung ausgewählten Einsendungen lesenswert. Vor allem beweisen sie gemeinsam, welche Vielfalt und welche oft erstaunliche Qualität in Texten junger Schreibender steckt.


Auch diejenigen Einsendungen, die hier nicht speziell erwähnt werden konnten, enthielten trotzdem oft genug gute Texte, und bei ca. 250 Einsendungen geht es im vorderen Bereich erfahrungsgemäß recht knapp zu. Wir bedanken uns ausdrücklich für alle Einsendungen und wünschen allen Beteiligten viele Ideen und die nötige Ausdauer beim weiteren Schreiben, sowie (vielleicht?) viel Glück im Jahr 2006 bei unserem nächsten Wettbewerb.