Europäischer Wettbewerb: Begründung der Entscheidung durch die Jury

"Unmessbare Freundschaft", Dana Klomfaß

Lena ist zu klein. Findet sie selbst jedenfalls, weil sie als Kleinste ihrer Klasse ständig gehänselt wird. Täglich misst sie sich, aber immer ist sie 118 cm groß und wieder nicht gewachsen.

Die Wende in Lenas Leben bringt eine kleine Katze. Die findet Lena in den Sommerferien in einem Rohr, in dem sie sich selbst schon einmal versteckt hat. Und während Lena den Rest der Sommerferien damit beschäftigt ist, sich um die Katze zu kümmern, vergisst sie ganz auf ihre Größe. Als die Schulzeit wieder anfängt, wird sie vom Schularzt vermessen - und ist dann plötzlich zwei Zentimeter größer.

Dana Klomfaß beobachtet genau und pflegt in ihrer Geschichte "Unmessbare Freundschaft" einen schlichten, angenehm zu lesenden Stil, angereichert mit poetischen Bildern; die Jury war beeindruckt von der reifen Sprache im Vergleich zum jungen Alter der Autorin.

 

"Ni Hao (Guten Tag)!", Susanne Kirschenhofer

Geschickt verwebt Susanne Kirschenhofer in ihrer Erzählung "Ni Hao (Guten Tag)!" Realität und Traum. Die Ich-Erzählerin befindet sich mit ihrer Familie in China - eine Rückblende zeigt, wie ihr Vater zu einem Kongress eingeladen wurde und die Familie mitnahm.

"Ich sehe winzige, alte Bretterhäuser und Menschen wie Ameisen. Radfahrer, alles wie in den Reiseführern, aber so viele …" Neben den Reisebericht treten die Albträume der Erzählerin, in denen sie die Fremdheit der Menschen und ihre Erlebnisse in der Verbotenen Stadt und an der Chinesischen Mauer verfolgen. Die merkwürdige Beobachtung von zwei Chinesinnen, die mit vier Bällen Pingpong spielen, wird in ihrer Traumwelt zur Bedrohung: "Eine Frau schlägt mir abwechselnd mit vier Bällen auf den Kopf, dabei werde ich fotografiert".

Besonders beeindruckt haben die Jury die konsequente Ausführung der ungewöhnlichen Bilder, die die Autorin benutzt, und die durchgehende atmosphärische Dichte des Textes.

 

"Unmöglicher Sieg", Maren Uhle

Im Text "Unmöglicher Sieg" beschreibt Maren Uhle das Weiter-Leben einer Über-Lebenden. "Nach zwei Tagen erst verstand sie, dass sie die Einzige war" - die Einzige, die den Autounfall überlebt hat, dem ihr Ehemann und ihr Sohn zum Opfer gefallen sind.

Einerseits schildert die Autorin eindringlich die Hilflosigkeit einer Frau, die im Krankenhaus liegt und auf eine Erklärung wartet; nicht wahrhaben will, dass ihre Familie ums Leben gekommen ist, und der es umgekehrt niemand ausdrücklich zu sagen wagt.

Andererseits wird das Leben der Witwe beschrieben, die weiterhin ihrer Arbeit als Bibliothekarin nachgeht und sich in Geschichten vergräbt - in die der Bücher, die sie verleiht, und in die der Fremden, die sie Tag für Tag beobachtet. Jede Nacht flüchtet sie sich in ihre Träume, daher der Arbeitstitel der Geschichte: "Abendliche Flucht".

Besonders gefallen haben der Jury die Namenlosigkeit der weiblichen Hauptperson, die bis zum Ende nur als "Einzige" bezeichnet wird, und die Kürze, in der die Autorin Gefühle auf den Punkt bringen kann.

 

"Das Gespenst von Cunterfall", Emilia Braitenberg

Emilia Braitenberg erzählt von einem belustigenden Missverständnis. Durch einen Schreibfehler im Gesetz wird die Königin von Italien zum Schweigen verurteilt statt ihrer Tochter - gegen die das Gesetz eigentlich gerichtet sein sollte.

"Das Gespenst von Cunterfall" ist "ein Wesen mit einem Kopf wie ein Affe, einem Körper wie ein Gartenzwerg und einem knallroten Umhang". Es eilt der Königin zur Hilfe, und erlässt mit ihr ein neues Gesetz. Dadurch werden im Ende, wie es sich für ein Märchen gehört, alle glücklich.

Die Jury war begeistert von der Situationskomik, die die Autorin in knappen Sätzen aufleben lässt.

 

"Ein Fleck in Mathe oder 'Elterntausch-AG'", Lena Bodner

Paul hat einen Traum, den wohl viele Kinder schon geträumt haben: Er hätte gern, dass seine Eltern nicht wegen schlechter Zensuren schimpfen, ihm keinen Hausarrest erteilen, ihm dafür mehr Taschengeld geben.

Lena Bodners Text "Ein Fleck in Mathe oder 'Elterntausch AG'" lässt Pauls Traum Wirklichkeit werden. Er kann sich Eltern aussuchen, die diesen seinen Wünschen entsprechen. Aber sein Traum wird zum Albtraum: Seine neuen Eltern stellen sich als versoffene und verfressene Karikaturen heraus, die sich zwar nicht um Pauls Zensuren kümmern, aber auch um sonst nichts.

Die Jury fand die Idee der 'Elterntausch AG' originell und hat sich beim Lesen mit Paul gefreut, der am Ende seine alten Eltern zurückhaben darf.

 

Für die Jury:
Maria von Krbek, Berlin