Sommerschreibzeit Graz 2004 – Tagebuch


Montag, 12. Juli 2004

Wie jeden Tag bewegten wir uns 8 Uhr 30 langsam, weil wir ein bisschen müde waren, die so genannten Fitnesstreppen hinauf. Dort aßen wir das, was die Muttis uns vorsetzten. Danach tippte ich schnell noch einen Text für die darauf folgende Kritikrunde fertig. Bei dieser übertrieben dann manche beim Kritisieren, weshalb wir eine halbe Stunde pro Text brauchten.
Danach fuhren wir in die Stadt, um den Bürgermeister zu besuchen. Wir trafen aber nur einen Stellvertreter (welch Überraschung). Nach einer kurzen Rede gingen wir in den Nebenraum, wo wir belegte Brote vorfanden. Weil es einige (mich eingeschlossen) gab, die sich für Graz interessierten, teilte der Bürgermeistervertreter Informationsblätter aus, auf denen wichtige Fakten über Graz standen (z. B., dass der Friseurtrainingskurs im letzten Jahr um 17,7% teurer geworden ist). Nachdem wir fast alle Brote aufgegessen hatten (eins blieb übrig), gingen wir in die Stadt. Zuerst betrachteten wir die Bücher in einem Buchladen. Danach machten Lisa, Armin und ich uns auf den Weg zum Schlossberg, wo wir Märchengrottenbahn fuhren. Dort sahen wir Rotkäppchen, Schneewittchen, Clowns, Zwerge und das Highlight, die hüftkreisende Biene Maja und ihren ebenfalls hüftkreisenden Freund Willi. Nachdem wir diese berühmteste Sehenswürdigkeit von Graz gesehen hatten, liefen wir die Treppen zum Schlossberg hoch und, nachdem ich ein Foto vom Uhrturm gemacht hatte, wieder hinunter. Danach wollten wir etwas für unsere kulturelle Bildung tun und eine Ausstellung im Kunsthaus besichtigen. Da das aber geschlossen hatte, wollten wir zur Murinsel gehen und schreiben. Der Aufbruch verzögerte sich ein wenig, denn wir sahen sie, sie hatten rote Jacken mit Aufnähern drauf, immer, wenn ich sie sah, musste ich spontan sagen: "Jeden Tag eine gute Tat." Es waren die Pfadfinder, die in der Schreibwerkstatt eine wichtige Rolle spielen sollten.

Vincent

Mittwoch, 14. Juli 2004

Am Morgen gingen wir alle "frisch und munter" die Fitnesstreppen zum Frühstück hinauf. Als wir die Semmeln, Cornflakes und Brote gegessen hatten, machten wir uns auf den Rückweg zu unserem netten, kleinen Häuschen. Wir trafen uns zu einer Kritikrunde, aus der dann doch nichts wurde, weil viele ihre Texte noch immer nicht fertig geschrieben hatten. Dafür las uns Martin einige erheiternde Artikel aus der "Kleinen Zeitung" vor, es war tragisch zu hören, dass der Name "Johann" bald aussterben würde. Allein gestern waren ganze vier Leute dieses Namens verschieden! An dieser Stelle: Herzlichen Dank an das Bestattungsunternehmen Graz, ohne Sie wäre dieses Service für unsere Leser nicht möglich gewesen!
Unter der etwas freundlicher klingenderen Rubrik "Leben" verbarg sich das Horoskop, das auch sehr interessante Tatsachen enthüllte (Vincent - übertreib's nicht mit dem Sport!! Lisa, Johannes und ich müssen derweil warten, bis unsere Souveränität wiederkommt ...).
Nach diesem angenehm verbrachten Vormittag hieß es wieder: auf zum Essen. Es gab Backerbsensuppe und anschließend Spaghetti mit einer nicht ganz so schmackhaften Soße, deren Bestandteile wir lieber nicht analysieren wollten.

Teresa

Nach dem Mittagessen gab es klarerweise keine Erholpause - es war ja der Tag der Lesung, darum mussten viele noch ihre Texte fertig schreiben und überarbeiten.
Armin, Teresa und ich hatten nichts Großartiges mehr zu tun und freuten uns über jede noch so kleine Abwechslung, sprich: wir waren den Luftsprüngen nahe, als Martin verkündete, dass keine Milch für den Kaffee da wäre und dass wir eine holen gehen sollten.
So trabten wir die so genannte "Fitnessstiege" hinauf, die ihren Namen bekam, weil sie so lang und steil ist, dass man alle beim Essen aufgenommenen Kalorien schnell wieder abbaut, und begaben uns zur Küche, die auf der anderen Seite des Kinderdorfes lag.
Dort fragten wir die "Muttis", die so bezeichnet wurden, weil sie uns immer total nett umsorgten - wie Muttis eben - um etwas Milch, in der Hoffnung, wie Martin uns versichert hatte, dass sie uns auch Schokolade oder Bonbons oder so was zustecken würden, doch leider nein, sie waren ziemlich beschäftigt und kamen nicht auf die Idee, uns "Schriftsteller in Ausbildung" zu belohnen.
Als wir dann zurück waren mit der Milch, gab es endlich wieder eine Beschäftigung für mich, denn ein Computer war frei geworden, und so widmete ich mich wieder den "Armin ist ein rennender Baum"-Zeichnungen. Tatsächlich bezeichnete Armin sich selber gerne als rennenden Busch oder Baum, wegen seiner Wuschelhaare, die wie eine Baumkrone seinen Kopf schmücken.
Dann erarbeitete Vincent eine "Das ist Armins und Teresas Verkupplungsservice"-Homepage, die ein Racheakt war für die fruchtlosen Versuche von Teresa und unserem rennenden Busch, Steinchen (das ist Vincents Spitzname) und mich zu einem Paar zu machen. Das einzige Ergebnis dieser hirnrissigen Aktion war nur, dass wir, als "missglücktes Paar", uns den ganzen Tag darüber kaputtlachten.
Später gab es wieder eine endlos lange Kritikrunde, bei der die letzten Texte für die Lesung bearbeitet wurden. Wie immer wurde das meiste Geschriebene von den Oberkritikern (Namen zu nenne wäre unhöflich) förmlich in der Luft zerrissen, weil das und das nicht passt, die Charakteren zu oberflächlich beschrieben wären, Logikfehler vorn und hinten, "So kann man das nicht sagen"-Fehler, und, und, und. Tatsächlich hört sich das jetzt schrecklich an, aber ich muss sagen, dass mir die Kritikrunden sicherlich sehr viel gebracht haben und ich meine Texte gut überarbeiten konnte.
Als die Runde endlich zu Ende war, war es 18.45 Uhr, und für 19.00 Uhr waren die Taxis bestellt, die uns zur Lesung bringen sollten. Darum gab es noch Eiltempoüberarbeitungen an den Texten, die aber bei weitem nicht die letzten vor der Lesung waren, noch einen schönen Ausdruck und dann fuhren wir ab in die Elisabethstraße.
Im Bus wurden die meisten Texte noch einmal überarbeitet, im Lesungssaal ebenso, und sogar noch während die Ersten lasen, schriftelten die, die später an der Reihe waren, noch fleißig weiter.
Es gab einige kleine, aber feine Pannen, die noch unbedingt zu erwähnen sind: Die erste lesende Dreiergruppe waren Armin, Teresa und Maren. Als auf Teresas Text, bei dem sie sich bei dem Wort "Versprechen" dreimal versprochen hatte, Applaus folgte, sprang Maren auf und verließ die Bühne. Sie kam an ihren Platz und durchstöberte im Eiltempo die Blätter, die auf dem Tisch lagen, weil sie die letzte Seite ihres Lesungstextes liegen gelassen hatte. Als Armin endete, lief sie schnell wieder ins Rampenlicht, setzte sich und begann seelenruhig zu lesen.
In meiner Dreiergruppe las Vincent als Allererster. Als ich zu ihm sah, bemerkte ich, dass seine Hand, in der er den Text hielt, wie wild zitterte. Die andere ebenfalls, darum presste er sie dauernd gegen seinen Oberschenkel, um sie an dieser Bewegung zu hindern. Die Erleichterung war ihm anzusehen, als er fertig gelesen hatte.
Ein kleines Unglück dieses Abends war wohl ich. Ich hatte einen eigentlich zu langen Text für solch eine Lesung. Ich selber wurde beim Vortragen ungeduldig, quälte mich aber durch und versuchte, nicht zu laufen. Als ich geendet hatte, war die Erleichterung so groß, dass ich vergaß, dass ich erst die zweite Lesende in unserer Dreiergruppe gewesen war und Ronja ja noch einen Text hatte. Ich stand glücklich auf von meinem Platz, verließ die Bühne, und erst, als ich wieder in der Dunkelheit außerhalb des Rampenlichts stand, bemerkte ich, dass Vincent und Ronja noch immer auf ihren Plätzen saßen, und mich mit einem ziemlich sonderbaren Blick anguckten. Ich stieß ein "Ups!" aus, sprang auf die Erhöhung zurück und setzte mich wieder zu meinen Kollegen.
Nach der Lesung gab es ein feines Buffet, und als ich mir gerade Orangensaft einschenkte, stellte sich eine ältere Dame neben mich, und begann mich über meinen Text auszufragen, der von einem Kind handelte, das von seiner Mutter geschlagen wurde. "Und, hast du so etwas schon erlebt?"
Ich lachte. "Nein … nein. Zum Glück nicht."
"Aber du kennst bestimmt jemanden, der das schon erlebt hat?"
"Nein, auch nicht!"
"Ach so", murmelte sie noch, dann ließ sie mich in Ruhe trinken, weil sie enttäuscht war, dass ich doch kein bemitleidenswertes Mädchen bin. Aber sie beobachtete mich noch eine Zeit lang, und meine Mutter meinte lachend, dass diese Dame uns in den nächsten Tagen bestimmt einmal die Fürsorge nach Hause schicken würde.

Nach der Lesung feierten wir diese Schreibwerkstatt in der Traminer Weinstube. Wir waren insgesamt sechzehn Leute, weil die Frau, die den Erstdruck-Verkaufsstand betreut hatte, und ein Ex-Werkstattteilnehmer namens Georg ebenfalls mitkamen.
Die Übersechzehnjährigen bestellten Wein und die "Kleineren" alkoholfreie Getränke, und wir redeten einfach nur. Sechs in der Gruppe waren Kettenraucher und innerhalb von Sekunden war die Stube mit blauen Rauchschwaden gefüllt. Georg, der mich mit seinem lockeren Haarknoten an einen französischen Feldherrn unter der Führung Napoleons erinnerte, zerstörte mir wegen der qualmenden Zigarette in seiner Hand immer diese wunderschöne Vorstellung.
Jakob und der Franzosenmensch waren bald in eine hitzige Diskussion verwickelt zum Thema "Wie finde ich einen gescheiten Verlag für mein Buch, sodass 5000 Exemplare in einem Monat weggehen" oder so etwas Ähnliches, wenn ich das richtig verstanden habe.
Aber nicht alle waren so beschäftigt wie die beiden, und gegen zwölf Uhr wollten die meisten dann schon nach Hause. Wir Kleineren durften zuerst mit dem Kleinbus heimfahren, dafür mussten wir aber auch die schmutzigen Gläser und Gabeln abwaschen.
Natürlich konnten wir am letzten Abend nicht sofort schlafen gehen, und so redeten und lachten Maren, Ronja, Vincent, Irene und ich noch bis zirka zwei Uhr in der Früh. Ich weiß nicht, ob die anderen noch länger aufblieben, ich jedenfalls schlief dann schließlich ein. Wenn ich's mir recht überlege, gehört dieser letzte Teil gar nicht mehr zu diesem Tagebucheintrag dazu, weil es da ja schon Donnerstag Früh war. Aber ich bezweifle, dass derjenige, der den Donnerstag zugeteilt bekommen hat, auch die Zeit nach Mitternacht beschreiben wird, darum hab ich's für meinen Teil auch gleich erledigt.
So endete eine Woche voll neuer Freundschaften, Spaß und Geschichten.

Lisa

 



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