DER STANDARD
Dienstag, 4. Dezember 2001, Seite 13 - Bildung


Die Verwandlung: In einer fremden Rolle leben

Der Monolog "Stummfilm" belegte beim Wettbewerb "Fremd" der Schreibwerkstatt Graz den zweiten Platz. Hier ein Ausschnitt.



Susanne Müller*

Mit dem Läuten werde ich aus der Ruhe gerissen. Bald wird sich der Vorhang heben, und ich muss hinaus auf die Bühne. Es ist seltsam neu, das Lampenfieber; immer abends, kurz vor dem Auftritt, nachdem ich tagsüber unbekannt vor mich hin gelebt habe, kriecht es von innen herauf. Ich kann mich nicht erinnern, früher alles so hinterfragt zu haben, ängstlich schon, bevor ich auftrat.

Ich kam zum Theater, und meine Rolle war die, die sie war. Ich nahm sie an. Ich spielte sie. Aber nun, da unser Ensemble immer größer wird und ich mich an die Aufgabe gewöhnt habe, eine Rolle zu spielen, eine von vielen, beginne ich, mich umzuschauen. Vorsichtig nur, verstohlen, sonst würde es wirken wie Argwohn, unangebrachte Zweifel an den Aufträgen, die ich nicht bestimme. Und so ist es doch nicht gemeint.

Ich erinnere mich an wenige Zwischenfälle, an kleine Auseinandersetzungen hinter den Kulissen, an einen großen Streit um eine Rolle, die mehrere haben wollten, und eine, die keiner wollte. Aber im Großen und Ganzen haben wir uns gut geschlagen. Es ist seltsam und vielleicht nicht normal, aber es gibt Augenblicke, in denen mir die Rollen Angst machen. Verwirrung, in der ich nicht mehr weiß, wer nun wer ist. Das Spiel scheint so ernst zu werden manchmal. Das macht mir Angst. Ich habe diesen Weg eingeschlagen in der Hoffnung, eine Kunst zu leben. Aber nun ist da die Angst vor einer Sackgasse.

Man spricht nicht über die Schwierigkeiten, hier ist doch jeder Schauspieler. Jeder für sich. Vielleicht sprechen sich auch andere Sätze vor bis in den Traum und schneiden morgens im Bad die Grimassen, die sie abends können müssen. Dort kann man sie noch korrigieren, bevor sie endgültig werden.

Monologe sind schwierig; man muss sich allein beweisen, ohne Zusammenspiel. Dann ist man die Bühne. Ich bin erleuchtet, hell, und meine Lippen dürfen nicht zittern, wenn ich an der Reihe bin; das Bewusstsein in mir verkompliziert das. Es ist ein Beweisen, auch das; es ist ein eigener Ehrgeiz. Es ist ein Zeigen, aber es gilt so viel zu verbergen. Keinen der Zweifel zeigen. Konzentration auf die Rolle, die ist, wie sie ist. Es gibt Gesetze, ungeschriebene, die doch jeder spürt und kennt. In mir steht die Frage, ob nicht das Publikum sehen sollte, wie schwer es ist, ein Theater zu führen. Sie würden es vielleicht mehr schätzen.

Es gibt keine Wiederholungen, wenn der Film reißt. Ich glaube, das müsste sich ändern. Das ist das Anspruchsvolle am Theater: Die Aufführungen sind live und unwiderruflich. Keine Klappe die zweite, kein Zurückspulen. Ich möchte von vorn beginnen; ich habe den Beruf falsch gewählt. Warum nicht Chancen bekommen? Wir leben unseren Weg in den Rollen, und wir müssen proben, um besser zu werden; warum das nicht zugeben, ehrlich sein? Vielleicht. Ich glaube, ich werde für das Drehbuch zu unserem nächsten Stück sorgen.

*Die Autorin ist 16 Jahre alt.



© DER STANDARD, 4. Dezember 2001