»Erwachen«

Europäischer Literaturwettbewerb in deutscher Sprache

Begründung der Jury

Vom 7. bis zum 9. Januar 2011 traf die Jury in Leipzig zusammen. Mit den mehr als 310 Einsendungen erreichten uns auch dieses Jahr viele interessante Texte, unter denen wir unsere Preisträger finden mussten. Da es auch heuer sehr viele ähnlich gute Texte gab, deren Veröffentlichung den Rahmen des Buches sprengen würde, haben wir wiederum nur diejenigen dreizehn ausgewählt, deren Qualität sie unserer Meinung nach deutlich von den übrigen unterscheidet. Nach einer durchaus kontroversen Diskussion um die Einsendungen, die in der engeren Auswahl für einen Preis blieben, haben wir entschieden, in diesem Jahr keinen ersten Preis zu vergeben, da unserer Auffassung nach die Qualität der Preisträger-Texte der letzten Jahre ebenfalls zu berücksichtigen ist.

Nachfolgend versuchen wir genauer zu begründen, was uns an den Texten der Preisträger gefallen hat.

2. Preis

Sarah Rinderer (15 Jahre, A)
»Barfuß«

In »Barfuß« findet eine junge Ich-Erzählerin heraus, dass sie schwanger ist, und überlegt, wie sie damit umgehen wird. Auf verschiedenen Ebenen des komplexen Textes kehrt die Frage nach der Erreichbarkeit eines Gleichgewichts immer wieder. Hier hat uns die funktionierende Verflechtung der Rückblenden und Textebenen ebenso überzeugt wie die konsequent durchgehaltene Perspektive, die auch sprachlich nahe an der Figur bleibt. Der zweite eingesandte Text der Autorin hat uns ebenfalls beeindruckt.

2. Preis
Miriam Suttner (15 Jahre, A)
»Silvester«

Die Kurzgeschichte »Silvester« von Miriam Suttner breitet beim Lesen die zähe Tristesse eines Jahreswechsels überzeugend aus: Die Familienmitglieder dreier Generationen müssen, mehr schlecht als recht, am Silvester-Abend bis Mitternacht miteinander auskommen. Besonders gefallen hat der Jury, wie die pointierten Dialoge aus den Beziehungen der Beteiligten ein Wohnzimmer-Kammerspiel inszenieren. Mit ein wenig Konzentration hätte der Text eine noch höhere Intensität erreichen können.

3. Preis

Darja Samira Keller (15 Jahre, CH)
»Schwimmflügel«

»Schwimmflügel« schildert das Treffen zweier Freundinnen in einem Café. Aus dieser eng begrenzten Situation entfaltet diese knappe Prosa das gespannte Verhältnis der beiden mit großer Präzision, ohne die Veränderungen einfach zu benennen. Auch die anderen eingesandten Texte der Autorin haben die Jury überzeugt.

4. Preis

Melanie Balaz (14 Jahre, A)
»Sommer«

In seinem expressiven Wortstrom fängt »Sommer« Ereignisse und Stimmungen einer schmerzhaft schwierigen Liebe aus der Perspektive der Protagonistin ein. Hier haben der Jury besonders die Passagen leichter ironischer Distanzierung gefallen. An einigen Stellen allerdings assoziert der Text ein wenig übertrieben und wird ungenau. Wir hätten gern mehr Texte von dieser jungen Autorin gelesen.

Besondere Erwähnung

Jenny Weiß (15 Jahre, D)
»Wunderschön«

Cornelia Zierhofer (17 Jahre, CH)
»Glasvögel«

Von den zahlreichen Texten, die uns von Jenny Weiß erreichten, haben wir uns für »Wunderschön« entschieden, weil hier die Fähigkeit der Autorin, das Geschehen distanziert zu betrachten, den Text bereichert, ohne ihm die Atmosphäre zu nehmen. In »Glasvögel« gelingt es Cornelia Zierhofer unter anderem durch Wiederholungen einzelner Textpassagen eine Bilderfolge zu zeichnen. Hier kann sie ihren bewussten Umgang mit Sprache und Bildern am überzeugendsten umzusetzen. Bei beiden Texten haben wir eine stärkere Arbeit an der Erzählung selbst vermisst.

Die Texte der Preisträgerinnen und alle anderen veröffentlichten sind äußerst lesenswert. An dieser Stelle möchte die Jury auch jene AutorInnen zum weiteren Schreiben ermutigen, die wir in diesem Jahr nicht veröffentlichen konnten. Wir sind schon gespannt auf die Einsendungen unseres nächsten europäischen Wettbewerbs 2012.

Die Jury:

Johannes Brodowski, Leipzig (D)
Maria Evans-von Krbek, Berlin (D)
Sabine Schönfellner, Wien (A)